In unserer Zeit als Tagesmütter haben wir immer wieder festgestellt, dass das Thema Eingewöhnung hinterfragt wird. Auch wir haben uns als Mütter unserer Söhne gefragt: „Warum muss ich dafür so viel Zeit einplanen?“ Uns wurde damals empfohlen, mindestens zwei Wochen einzuplanen. Zunächst konnten wir das kaum verstehen – unser Kind ist doch offen, geht gerne auf andere Menschen zu und spielt gerne mit anderen Kindern. Ist das wirklich notwendig? – JA! Während der Eingewöhnung haben wir schnell gemerkt: Unser Kind braucht diese Zeit und auch uns als Bezugsperson.
Der Wechsel in die Kindertagespflege ist für jedes Kind, egal wie selbstbewusst und offen es wirkt, ein bedeutsamer Lebensabschnitt, der behutsam vorbereitet und gestaltet werden muss. Viele Kinder erleben in dieser Phase zum ersten Mal die regelmäßige Trennung von ihren Bezugspersonen, befinden sich in einer fremden Umgebung und treffen auf unbekannte Kinder und Erwachsene. Sie werden vor neue Herausforderungen gestellt und müssen große Anpassungsleistungen bewältigen. Das bedeutet, dass sich das Kind an neue Rituale, Regeln, die Umgebung und neue Personen gewöhnen muss. Außerdem lernt es, mit der täglichen, mehrstündigen Trennung von seinen Eltern umzugehen – all das kann hohen Stress verursachen und erfordert Geduld, Einfühlungsvermögen und Begleitung.
Wird die Eingewöhnung nicht ernst genommen oder gar übersprungen, zeigen Studien deutliche Folgen. Ein Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin (Laewen, Andres & Hédervári-Heller, 2015) zeigt, dass fehlende oder unangemessene Eingewöhnung in den ersten sieben Monaten nach Aufnahme der Kinder zu folgenden Auswirkungen führen kann:
Auf Grundlage dieser Forschung wurde ein kindgerechtes Eingewöhnungsmodell entwickelt, das den Eintritt in die Tagespflege erleichtert und negative Auswirkungen verhindert.
Die Tagespflege ist für Kinder anfangs eine völlig fremde Umgebung und kann befremdlich oder sogar beängstigend wirken – besonders wenn sie die Situation alleine durchleben müssten. Versetzen wir uns in die Lage des Kindes: Es betritt einen Raum voller fremder Menschen, die es noch nie gesehen hat, und soll nun dort bleiben. Alles wirkt neu, unbekannt und unübersichtlich.
Kinder können kaum adäquat ja oder nein sagen, und plötzlich soll die bezugsperson den Raum verlassen. Selbst für uns Erwachsene kann so eine Situation befremdlich sein – für ein kleines Kind, das bisher die Welt überwiegend mit Mama, Papa oder vertrauten Personen erkundet hat, ist sie überwältigend. Vielleicht war die maximale Trennung bisher zwei Stunden bei Oma, die schon vertraut ist und bei der schon Vertrauen und Sicherheit entstanden ist. Dort fühlte sich das Kind sicher, weil die Bezugsperson als sicherer Hafen vorhanden war.
Mit diesem Rückhalt sind Kinder bereit, die Welt zu entdecken. In einer neuen, befremdlichen Umgebung ist es besonders wichtig, dass wir als Tagesmütter Geborgenheit und Sicherheit vermitteln. So kann das Kind die Tagespflege, die Räume, Spielmöglichkeiten, andere Kinder und uns kennenlernen. Anfangs wird es sich immer wieder rückversichern, nach seiner Bezugsperson schauen und möglicherweise ängstlich in die Arme laufen. Genau dieses Gefühl von Sicherheit und Begleitung gibt dem Kind Vertrauen und Mut, die neue Umgebung zu erkunden.
Ebenso wichtig ist ein gutes Verhältnis zu den Eltern. Schließlich vertrauen sie uns ihr Wertvollstes an – ihr Kind. Es geht dabei nicht um Argumente, sondern um das Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Kinder nehmen feinste Stimmungen wahr: Sie merken, wenn es Mama oder Papa nicht gut geht, aber ebenso, wenn sich die Bezugsperson in der Tagespflege wohlfühlt und Sicherheit vermittelt.
Uns ist es deshalb besonders wichtig, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen und ihnen die Bedeutung ihrer Anwesenheit während der Eingewöhnung zu vermitteln. So kann ihr Kind einen guten Start in das neue Abenteuer „Tagespflege“ erleben. Gleichzeitig möchten wir klarstellen: Sie bleiben immer die wichtigste Bezugsperson für ihr Kind – unabhängig davon, wie gerne es die Tagespflege besucht.
Schon als Mütter haben wir uns intensiv mit den verschiedenen Eingewöhnungsmodellen auseinandergesetzt. Bevor wir unsere Arbeit als Tagesmütter begonnen haben, war es uns wichtig, bewusst zu entscheiden, nach welchem Modell wir arbeiten möchten. Wir haben uns beide für das Berliner Modell entschieden und möchten Ihnen dieses Modell gerne näher vorstellen.
Dabei ist uns besonders wichtig zu betonen: Das Berliner Modell dient als Leitfaden, kann und soll aber individuell an die Bedürfnisse Ihres Kindes angepasst werden.
Das Berliner Modell ist in mehrere Phasen unterteilt, die wir Ihnen nun mit Unterstützung der Autoren Laewen, Andres und Hédervári-Heller (2015, S. 43-47; 63-83) vorstellen möchten.
Unser Ziel ist es, die Eltern frühzeitig über das Eingewöhnungsmodell, die voraussichtliche Dauer und die Mitwirkung der Bezugsperson zu informieren. So können die Eltern die Eingewöhnung in ihren Alltag einplanen und gegebenenfalls Umstellungen vornehmen, um ihr Kind bestmöglich zu begleiten.
Oft geben wir diese Informationen bereits im Erstgespräch, das gleichzeitig als Kennenlerngespräch dient und einige Wochen vor Beginn der Eingewöhnung stattfindet. Hier laden wir auch das Kind ein, sodass wir die Gelegenheit haben, uns gegenseitig kennenzulernen. In diesem Gespräch beantworten wir alle Fragen der Eltern, erklären den Sinn und Ablauf der Eingewöhnung und fragen nach den Vorlieben, Schlafgewohnheiten und Essverhalten des Kindes. Gleichzeitig können auch wir viele Fragen stellen, um Ihr Kind besser kennenzulernen. Wir wissen selbst, wie befremdlich es sein kann, das eigene Kind in die Obhut einer zunächst fremden Person zu geben – da tauchen oft viele Fragen auf.
Es ist uns ebenfalls wichtig, den Eltern von Anfang an zu vermitteln, dass sie immer die wichtigste Bezugsperson bleiben. So können mögliche Trennungsängste gemildert werden. Nach dem Erstgespräch geben wir den Eltern oft die Gelegenheit, alles noch einmal in Ruhe zu überdenken, bevor sie sich für oder gegen eine Betreuung entscheiden.
Für beide Seiten ist dies eine wichtige Reflexionsphase: Passt die Vorstellung der Eltern und das Konzept der Tagespflege zu unserem Ansatz? Können wir uns mit den Werten und Zielen wohlfühlen? Stimmen die Erwartungen überein oder gibt es grundsätzliche Unterschiede? Ist die Entscheidung getroffen, dass beide Parteien zueinander passen, kann gemeinsam die nächste Phase der Eingewöhnung starten.
Dreitägige Grundphase: Kennenlernen ohne Trennung
In dieser Phase kommt das Kind in Begleitung seiner Bezugsperson zu uns in die Tagespflege, um zu spielen und sich in Ruhe einzugewöhnen. In den ersten drei Tagen findet kein Trennungsversuch statt – so haben wir die Gelegenheit, uns gegenseitig kennenzulernen. Das Kind entdeckt in dieser Zeit die Räumlichkeiten, die Spielsachen sowie unsere Rituale und Abläufe. Bereits vom ersten Tag an werden Kind und Bezugsperson herzlich begrüßt, sodass das Kind eine freundliche, sichere Atmosphäre wahrnimmt.
Die Bezugsperson fungiert als „sicherer Hafen“ und verhält sich eher passiv. Wir bieten eine ruhige Ecke des Raumes an, in der sie sitzen kann. Das Kind soll jederzeit die Möglichkeit haben, sich rückzuversichern, während es seine Umgebung erkundet. Dabei ist es besonders wichtig, dass das Kind nicht gedrängt wird, sich zu entfernen, und dass die Nähe zur Bezugsperson akzeptiert wird. Sobald das Kind sich sicher fühlt, beginnt es von selbst, die Umgebung zu erkunden. Die Bezugsperson ist stets sofort erreichbar, reagiert auf Blicke und nimmt das Kind in Empfang, wenn es zu ihr zurückkehrt – ohne dass sie aktiv mit dem Kind spielen muss.
Wir als Tagespflegepersonen versuchen Kontakt aufzunehmen, Spielangebote zu machen oder uns am Spiel des Kindes zu beteiligen. Dabei wahren wir stets einen angemessenen Abstand und drängen das Kind zu nichts. Gleichzeitig beobachten wir die Reaktionen des Kindes in verschiedenen Situationen sowie die Interaktion zwischen Kind und Bezugsperson, um Hinweise darauf zu erhalten, ob die Eingewöhnung eher kurz oder länger ausfallen sollte.
Ablauf der ersten Tage:
Sollte der vierte Tag der Eingewöhnung – also der erste Trennungsversuch – auf einen Montag fallen, verschieben wir diesen auf den nächsten Tag. So kann der Tag noch einmal zur Stabilisierung genutzt werden und verläuft wie die vorherigen Tage.
Fällt der Trennungsversuch auf einen anderen Wochentag, kommen das Kind und die Bezugsperson gemeinsam in den Spielraum. Nach einigen Minuten, wenn sich das Kind von der Bezugsperson abgewandt hat oder in eine Spielsituation eingetaucht ist, beginnt der erste Trennungsversuch.
Die Bezugsperson verabschiedet sich aktiv vom Kind und verlässt den Raum. Dabei soll sie nicht mehr sichtbar für das Kind sein, aber in unmittelbarer Nähe bleiben, um jederzeit zurückkehren zu können.
Es sind dabei zwei mögliche Reaktionen denkbar:
Reaktion 1:
Das Kind weint, protestiert, wendet sich zur Tür oder verharrt angespannt und bewegt sich kaum noch. Es lässt sich nur kurz oder gar nicht von uns trösten. In diesem Fall holen wir die Bezugsperson zurück und brechen den Trennungsversuch ab.
Reaktion 2:
Das Kind weint kurz, lässt sich von uns dauerhaft trösten oder spielt weiter, zeigt weiterhin Interesse an Spielmaterialien und anderen Kindern. Dann ist eine Trennung von maximal 30 Minuten möglich.
Das Füttern und Wickeln wird an diesem Tag zunächst von der Bezugsperson übernommen und von uns nur begleitet – vorausgesetzt, das Kind ist einverstanden. Sollte das Kind weinen oder sich wehren, passen wir die Vorgehensweise an: Zum Beispiel kann das Kind auf den Schoß der Bezugsperson genommen werden, wir reichen Spielzeug oder sprechen mit dem Kind, oder wir überlassen die Tätigkeit vollständig der Bezugsperson.
Nach diesen Beobachtungen wird gemeinsam entschieden, ob eine kürzere oder längere Eingewöhnung sinnvoll ist.
Auch in dieser Phase gilt: Fällt der fünfte Tag auf einen Montag, verschieben wir die Stabilisierungsphase auf den nächsten Tag, damit dieser Tag weiterhin zur Sicherheit und Stabilisierung genutzt werden kann.
An diesem Tag übernehmen wir die Versorgung des Kindes Schritt für Schritt vollständig. Das bedeutet, dass wir das Kind nun selbst füttern und wickeln. Die Bezugsperson bleibt sichtbar im Hintergrund, um dem Kind weiterhin ein Gefühl von Sicherheit zu geben und es gegebenenfalls zu trösten. Wir reagieren nun verstärkt auf die Signale des Kindes, bleiben dabei aber behutsam und respektvoll. Wird unsere Nähe abgelehnt oder reagiert das Kind mit Weinen, darf die Bezugsperson sofort wieder aktiv werden.
Wenn das Kind am vorhergehenden Tag nach der Trennung aktiv ins Spiel zurückgefunden hat oder sich gut von uns trösten ließ, kann eine erste Trennung von bis zu einer Stunde erfolgen. Die Bezugsperson verabschiedet sich dabei mit einem kurzen, festen Abschiedsritual, um dem Kind die Trennung zu erleichtern. Die Bezugsperson bleibt weiterhin in unmittelbarer Nähe erreichbar, falls das Kind stärker auf die Trennung reagiert.
Hat das Kind kaum Stress gezeigt und lässt sich leicht beruhigen, kann an diesem Tag bereits versucht werden, das Kind ins Bett zu bringen. Wir begleiten das Kind dabei, um das Schlafritual kennenzulernen. Die Bezugsperson bleibt währenddessen in der Tagespflege, um gemeinsam Fragen zu klären, Ängste zu nehmen und den Tag zu reflektieren. Wacht das Kind auf, unterstützen wir die Bezugsperson beim Abholen aus dem Bett.
Am sechsten Tag übernehmen wir das Wickeln, Füttern und An-/Ausziehen selbstständiger, während die Bezugsperson mehr Abstand wahrt. Wir begleiten das Kind weiterhin beim Schlafen und beim Aufwachen, vorausgesetzt, das Kind hat sich zuvor ohne Stress wickeln, füttern oder an-/ausziehen lassen und findet nach einer Trennung aktiv ins Spiel zurück.
Hat das Kind in den vergangenen Tagen ausreichend Vertrauen aufgebaut, ist es nun nicht mehr notwendig, dass die Bezugsperson anwesend ist. In diesem Fall können wir davon ausgehen, dass eine stabile Beziehung zwischen uns und dem Kind entstanden ist und das Kind bereit ist, sich selbstständig in der Tagespflege zu bewegen.
Wenn ein Kind nach den ersten Trennungsversuchen noch nicht zurechtkommt, beginnen wir die Stabilisierungsphase erst am siebten Tag (vorausgesetzt, es ist kein Montag). Diese Zeit nutzen wir, um die Beziehung zwischen uns und dem Kind weiter aufzubauen. Dabei übernehmen wir schrittweise Pflegesituationen wie Wickeln, Füttern oder An- und Ausziehen – immer in Anwesenheit der Bezugsperson. Wir bieten weiterhin Kontakt- und Spielangebote an und beobachten die Reaktionen des Kindes genau.
Reagiert das Kind bei einem erneuten Trennungsversuch verunsichert oder lässt sich nicht trösten, werden die folgenden Tage genutzt, um mehr Sicherheit und Vertrauen zu schaffen. In der zweiten Woche wird in diesem Fall kein weiterer Trennungsversuch unternommen.
Zeigt das Kind jedoch schon in diesen Tagen Bereitschaft, sich wickeln und füttern zu lassen, und kommt besser mit den Trennungen zurecht, kann am neunten Tag versucht werden, das Kind in Begleitung der Eltern schlafen zu legen. Ziel der zweiten Woche ist die teilweise Übernahme von Pflegesituationen durch uns sowie die Vorbereitung auf die Schlafsituation. Gleichzeitig wird die Trennungszeit schrittweise verlängert, immer angepasst an das Verhalten und die Bedürfnisse des Kindes.
Zeigt das Kind bei neuen Aktivitäten Ängstlichkeit oder Unsicherheit, verzichten wir vorerst auf eine Erweiterung. Jeder noch so kleine Fortschritt wird als wichtiger Schritt zum Ziel betrachtet und wir reflektieren diesen regelmäßig, um ihn auch den Eltern adäquat zu vermitteln.
Verläuft am zehnten Tag die Trennungsphase problemlos, das Kind lässt sich von uns trösten, wickeln und füttern, spielt aktiv und hat möglicherweise bereits in unserer Tagespflege geschlafen, nutzen wir den elften Tag zur Stabilisierung. Damit geht die Eingewöhnung in die Schlussphase über.
Es gibt jedoch Eingewöhnungen, die auch Ende der dritten Woche noch nicht abgeschlossen sind, und bei denen das Kind noch nicht bereit ist, ohne seine Bezugsperson in der Tagespflege zu bleiben. Dann ist ein offenes Gespräch mit den Eltern notwendig.
In diesem Gespräch klären wir gemeinsam:
Hier gilt: reden, reden, reden. Oft merken wir, dass die Unsicherheiten der Eltern das Kind beeinflussen. Ein offenes Gespräch kann Ängste nehmen, Vertrauen schaffen und den Weg für eine erfolgreiche Eingewöhnung ebnen. Aus unserer Erfahrung wissen wir, dass dies durchaus normal ist – auch wir haben dies in eigenen Eingewöhnungen erlebt. Mit einem gemeinsamen Plan kann das Kind schließlich sicher und gut in die Tagespflege starten.
In dieser letzten Phase ist die Beziehung zwischen dem Kind und uns gefestigt. Das Kind lässt sich jederzeit von uns trösten, kommt zu uns, wenn etwas geschehen ist, und ist an uns, die anderen Kinder, unsere Regeln, Rituale und den Tagesablauf gewöhnt. Es lässt sich von uns ins Bett bringen und spielt aktiv.
Nun darf die Bezugsperson unsere Tagespflege weitläufig verlassen. Dennoch ist es wichtig, dass die Eltern für etwa zwei Wochen für Notfälle erreichbar bleiben, sodass sie schnell wieder vor Ort sein können, falls das Kind in einer schwierigen Situation zusätzlichen Rückhalt benötigt.
Es ist normal, dass es immer wieder zu Protesten oder Weinen kommt, wenn sich die Bezugsperson verabschiedet. Wir klären die Eltern von Beginn an darüber auf, damit sie dies einordnen können. Solange das Kind innerhalb weniger Minuten von uns getröstet werden kann und anschließend wieder ins Spiel zurückfindet, ist dies völlig unbedenklich.